Wie gelingen natürliche Porträts?

29. Oktober 2018
von Steffen Körber
2 Kommentare

Franz Zwerschina ist überzeugt, dass es mit einfachen Mitteln möglich ist, natürliche Porträts aufzunehmen – vorausgesetzt, dass man die nötigen Zutaten kennt, die Technik beherrscht und mit kreativem Schöpfergeist an die Sache herangeht. In wenigen Tagen erscheint sein Buch »Natürliche Porträtfotografie« im dpunkt.verlag. Wir nehmen das zum Anlass, um mit ihm darüber zu sprechen, was er unter natürlichen Porträts versteht und wie man sich als Fotograf der Sache annähert.

Der Verzicht auf Nachbearbeitung und Retusche kann im besten Fall eine Geisteshaltung sein – eine Möglichkeit, Kunst zu betrachten und für sich zu interpretieren.

fotoespresso: Franz, bei diesem Buchtitel drängt sich eine Frage förmlich auf: Was bedeutet für dich ›Natürlichkeit‹?

FZ: Dafür müssen wir kurz in meine Vergangenheit. Als Heranwachsender habe ich die Beat-Literatur verschlungen, die meine Sicht auf die Welt nachträglich geprägt hat. Dabei handelt es sich um eine Gruppe rebellischer Schriftsteller, Dichter und Filmemacher, die in den 1950er Jahren neuen Schwung in die Kunstwelt brachte. So beschrieb Jack Kerouac, einer der Wortführer der Beats, sein Schreiben als natürlichen Gedankenfluss, der seine Authentizität aus dem unmittelbaren »Augenblick« zieht. Sein oberstes Credo beispielsweise war der unbedingte Verzicht auf nachträgliches Korrekturlesen. Sein »Werk« sollte mit all den Fehlern, Zufällen und Gedankensprüngen erhalten bleiben. Ganz so radikal bin ich nicht, aber es war mir schon wichtig, die Porträts so zu belassen, wie ich sie im Moment der Aufnahme »gesehen« und »empfunden« habe. Ich mag den Gedanken, meine Bilder anzusehen und mir bewusst zu sein, dass sie allein mit guter Lichtsetzung und Kommunikation entstanden sind. Im Buch sind daher ausschließlich Bilder zu finden, die mit Sonnenlicht gemacht wurden und weitestgehend ohne Retusche und nachträgliche Korrekturen auskommen.

fotoespresso: Ist es dir wichtig, in Zeiten von Photoshop und Smartphone-Apps für Natürlichkeit oder Echtheit einzustehen?

FZ: Ausdrücklich Nein! Ein »authentisches«, bei natürlichem Licht gemachtes Porträt, das auf Nachbearbeitung verzichtet, ist nicht »besser« oder »moralischer« als beispielsweise ein stark manipuliertes Beauty-Porträt. Beides sind Spielarten der Fotografie. Die einen schätzen den unmittelbaren Moment der Aufnahme, der keine optische »Aufwertung« benötigt; andere lieben es, die Aufnahmen später am Rechner in Stimmungen zu tauchen, die Haut zu optimieren und ihren künstlerischen Visionen anzupassen. Nehmen wir den Superheldenfilm, der momentan auf einer unfassbaren Erfolgswelle reitet. Das sind perfekt produzierte Hollywoodblockbuster mit großem Staraufgebot, in denen kaum eine einzige Szene ohne Nachbearbeitung auskommt. Aber es gibt – wie immer – auch einen Gegentrend, Filme, die ihre Atmosphäre aus einem realistischen oder besser »erdigeren« Ansatz ziehen, etwa die Arbeiten von David Lynch, Takeshi Kitano oder auch Quentin Tarantino, um nur einige zu nennen. Ich denke beides hat absolut Platz im Leben und kann gut nebeneinander koexistieren. Sagen wir so: Der Verzicht auf Nachbearbeitung und Retusche kann im besten Fall eine Geisteshaltung sein, eine Möglichkeit, Kunst zu betrachten und für sich zu interpretieren.

Für mich geht es nicht darum, das perfekte Bild zu machen! Gutes Licht und ein starker Ausdruck reichen mir in der Regel völlig aus.

fotoespresso: Wie macht sich das in der Praxis bemerkbar? Wie läuft ein Shooting bei dir ab?

FZ: Von Janusz Kaminski (hat viel mit Steven Spielberg gearbeitet) stammt das Zitat: »Ich würde ein perfektes Licht immer opfern, wenn stattdessen die Energie am Set gehalten werden kann.« Eine positive Einstellung ist essentiell beim Shooting, sowohl vom Modell als auch von Fotografen. Allein dadurch können gute Bilder entstehen. Wir dürfen Menschen nicht wie ­Möbelstücke abfotografieren, deshalb bitte ich die Modelle stets, nicht zu posieren, sondern in Bewegung zu bleiben. Das hat den Vorteil, dass das Modell aktiv am Shooting teilnimmt. Außerdem verschaffe ich mir einen guten Überblick, welche Perspektive, welches Licht und welche Brennweite am besten zu dem Menschen »passen«. Der spielerische Aspekt darf während des Shootings nicht zu kurz kommen. Gerade bei unerfahrenen Menschen ist es essentiell, die richtigen Triggerpunkte zu finden, um sie zu motivieren, das Beste aus sich herauszuholen. Ich arbeite immer auf den wunderbaren Moment hin, wenn sich der »Flow« einstellt, also wenn das Vertrauen da ist und man alle um sich herum vergisst.

fotoespresso: Gibst du trotzdem Anweisungen während des Shootings?

FZ: Das hängt davon ab, mit wem ich shoote. Bei geübten Modellen achte ich mehr auf das Licht und die Kadrierung, weil die Modelle ganz genau wissen, wie sie ihren Körper schmeichelhaft darstellen. Bei Anfängern gebe ich auch mal Hinweise oder führe die Pose selbst vor. Ein langer Hals wirkt beispielsweise sehr weiblich, in Verbindung mit schön modellierten Schlüsselbeinen fast unschlagbar. Die »Pose« trägt maßgeblich dazu bei, ob man ein Porträt als »authentisch« oder »gestellt« wahrnimmt. Wenn ich unachtsam bin, kann ein Körper schnell unvorteilhaft wirken. Dabei ist es völlig egal, ob wir ein schlankes oder fülliges Modell vor der Kamera haben. Schlanke Menschen erscheinen bei falscher Pose drahtig und fade, während bei korpulenten Modellen die Gefahr besteht, plump zu wirken. Natürliche Posen entstehen, wenn das Modell eben nicht posiert, sondern in ständiger Bewegung bleibt.

Mit ein wenig Geduld lassen sich die vom Gegenlicht verursachten Leuchtflächen auf bestimmte Körperregionen lenken. Durch die offene Blende von f/1,8 verschwimmen die Menschen im Hintergrund in Unkenntlichkeit.

fotoespresso: Im Buch ziehst du immer wieder Vergleich zu Film und Kino. Woher kommt diese Affinität?

FZ: Ich liebe das Kino einfach in all seinen Facetten. In meinem Bücheregal finden sich Dutzende Bücher übers Filmemachen. Ich habe unendlich viel von den »directors of photography« gelernt, ein Beruf, den wir in der deutschen Sprache gern so einfach als »Kameramann« übersetzen. Doch diese Leute sind mehr als das; sie sind in vielen Fällen außerordentliche Handwerker, Lichtsetzer und Regisseure in einem und haben maßgeblich Anteil daran, wie ein Film letztendlich aussieht. Ich denke da an Emmanuel Lubezki, den man von »The Revenant« kennt, der schon mal ganze Hausdächer abreißen lässt, wenn er mit natürlichem Licht arbeiten will. Oder der japanische Kameramann Kazuo ­Miyagawa, der mit einer Tiefenschärfe von f/16 drehte und dafür das Filmset mit so viel Licht überflutete, dass den Schauspielern die Augen schmerzten. Auch ließ er im Wald Gräser und Pflanzen schwarz anmalen, um den Kontrast zu verstärken. Solche Geschichten inspirieren mich. Ich kann mir stundenlang die Nachtaufnahmen aus »Repoman« (1984) anschauen, die der niederländische Kameramann Robby Müller auf Zelluloid gebannt hat und vor kurzem habe ich im Fernsehen wieder einmal »Die Nacht des Jägers« von 1955 gesehen, der unglaublich schön fotografiert ist. Das Einzigartige an der Porträtfotografie ist, dass wir als Fotograf Lichtsetzer, Regisseur und Cutter gleichzeitig sind – wir erschaffen mit wenig Aufwand eine neue »Realität«. Die Pioniere des Films haben bereits vor über hundert Jahren Beleuchtungsstile entwickelt, um Schauspieler vom Hintergrund abzuheben, die Haut weicher zu zeichnen oder räumliche Tiefe zu erzeugen. Vieles von dem, was heute zum Standardwissen über Licht und Bildgestaltung gehört, geht auf die Entwicklungen der Stummfilmära und noch weiter zurück. Die Geschichte des Films, ist eng verwoben mit der Geschichte der Fotografie – eine Verbindung, der oft viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.

fotoespresso: Was war die Motivation, dieses Buch zu schreiben?

FZ: Der Grund ist recht simpel: Ich wollte auf einfache und leicht verständliche Weise darlegen, wie wenig Aufwand eigentlich erforderlich ist, um ausdrucksstarke Porträts zu machen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man ein professionelles Modell vor der Kamera hat oder Laien. Das richtige Licht entscheidet schlussendlich über Sieg oder Niederlage. Du kannst den »attraktivsten« Menschen vor der Linse haben – wenn das Licht nicht passt, wirst du kein gutes Porträt kriegen. Man braucht keine exotischen Schauplätze, langbeinigen Schönheiten oder teuren Studios. Im Grunde reicht ein Fenster. Damit kommt man ziemlich weit! Im Buch gibt es außerdem auch die weniger gelungenen Aufnahmen zu sehen, die demonstrieren sollen, wo die Fallstricke und Fehlerquellen liegen können. An dieser Stelle muss ich mich immer wieder bei den uneitlen Modellen bedanken, die mir diese oft wenig schmeichelhaften Bilder zur Verfügung gestellt haben. Für mich war es wichtig, auch diese zu zeigen. Jeder Fotograf macht schlechte Bilder. Das dürfen wir nie vergessen. Mit dem Buch will ich angehende Fotografen in das Thema Porträt einführen. So handeln etwa die ersten Kapitel davon, wie wichtig Licht, Kommunikation und Pose dabei sind. Was tun, wenn man schmeichelhaftes Licht braucht und nur die harte Sonne zur Verfügung hat? Wie bringt man das Modell dazu, sich auf ein Shooting einzulassen? Wie reagiere ich, wenn die »Chemie« beim Shooting nicht stimmt? Woher stammen diese unschönen Augenringe im Gesicht? Und dieser seltsame Grünstich auf der Haut! Kann ich mit dem Licht eines kleinen Fensters ein hochkarätiges Porträt machen? Warum zum Henker wirkt die Pose meines Modells so plump und unbeholfen? Fragen, die ich mir selbst zu Beginn immer wieder gestellt habe und auf die es einfache Antworten gibt. Ich beschäftige mich außerdem mit der Kadrierung (wie »erdet« man ein Bild), wann ist eine Schwarzweiß-Umwandlung sinnvoll, wie funktioniert eine dezente Nachbearbeitung und was ist bei der Aktfotografie zu beachten? Dazu gibt es viele der bereits erwähnten Anekdoten aus der Welt des Kinos.

Hier liegt das Gesicht des Models im Schatten der tiefstehenden Sonne und sorgt für einen weichen Hautton. Eine Nachbearbeitung ist nicht notwendig.

fotoespresso: Was ist dir am wichtigsten in der ­Fotografie?

FZ: Ich versuche immer, mich nicht zu stark auf den technischen Aspekt der Fotografie zu konzentrieren, denn dann geht der unmittelbare Kontakt zum Menschen verloren. Auch mit der Eitelkeit ist es so eine ­Sache. Ich freue mich über jedes gelungene Porträt, aber noch mehr freue ich mich, wenn das Modell zufrieden ist. Die Anerkennung von außen schmeichelt, aber ich bin der Überzeugung, ein Bild ist auch dann gut, wenn es keine 10.000 Likes bekommt. In meinen Bildern gibt es auch keine tiefere Wahrheit oder eine Metaebene. Ich halte es wie Douglas Adams, der einmal gesagt hat: »Genügt es denn nicht, dass ein Garten schön ist, ohne dass man unbedingt glauben muss, dass Feen darin hausen?«

fotoespresso: Hast du Vorbilder oder gibt es Menschen, die dich inspirieren?

FZ: Jede Menge. Ich liebe die Fotoarbeiten des Amerikaners Alec Soth, der sehr nahe am Menschen bleibt und eine bemerkenswerte Poesie der Alltäglichen in seinen Bildern heraufbeschwört. Gute Bücher inspirieren mich, Musik, aber auch meine Freunde und Familie. Und natürlich Filme. Kürzlich habe ich einen relativ unbekannten Film durch Zufall bei einem Streaming Dienst entdeckt. »Boys in the trees«. Der Film hat mich visuell und von der Stimmung her echt umgehauen.

Es reicht nicht, dein Modell hinzustellen und abzuwarten, dass »zufällig« ein gutes Bild entsteht. Die spannenden und interessanten Momente muss man sich verdienen.

fotoespresso: Was würdest du einem angehenden Fotografen raten?

FZ: Vergiss außergewöhnliche Locations, schicke Hotelzimmer, verlassene Bahnhofsgebäude oder zugewachsene Eisenbahnschienen am Stadtrand – vergiss das alles, konzentriere dich aufs Wesentliche! Beobachte das Licht und wie es sich im Raum verhält, achte auf Spiegelungen und Reflexionen, mach die Augen auf. Sieh doch, dort hinten bricht sich die Abendsonne auf der Rückseite des Stoppschilds. Stell dein Modell genau dorthin, zur Not gebückt, achte auf ein schön ausgeleuchtetes Gesicht. Frag dein Modell nach seiner Lieblingsfilmszene in einem Film, nach seinem Lieblingslied, versuche Emotionen auszulösen, entzünde seine Erinnerungen und es werden Funken fliegen. Denk dir kreative Aufgaben aus – jeder schöpferische Akt ist auch ein Spiel. Überrasche dein Modell, scheue dich nicht, den ersten Schritt zu machen. Wenn du kommunizierst, wirst du eine Reaktion erhalten. Urteile nicht. Wenn du dich nicht auf die Stimmung deines Modells einlassen kannst, wirst du nicht zu ihm vordringen. Große Fotografen sind immer auch empathische Menschen, Menschen, die sich in andere hineindenken und Verständnis aufbringen. Bewege dich, stehe nicht wie angewurzelt da, geh in die Knie, leg dich auf den Boden und dann ist es plötzlich da – dieses eine Foto, auf dem Licht, Raum und Pose im Einklang stehen. Es ist ein ganz und gar schöpferischer Moment.

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2 Kommentare:
  1. Das Problem ist, das die meisten Fotos (auch die natürlichen) einfach immer gestellt sind. Ich sehe das immer an Hand der Mimik und dem „perfekten“ Licht. Authentische Fotos müssen „schmutzig“ sein und kleine Fehler haben.

  2. Danke für diesen Beitrag zur Fotografie. Gut zu wissen, dass diese am schönsten werden, wenn das Licht natürlich ist. Ich will auch, dass der Hochzeitsfotograf bei meiner Trauung auch Porträts von uns macht.

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