Das Gear Acquisition Syndrome (GAS)

11. Januar 2016
von Steffen Körber
13 Kommentare

Das Gear Acquisition Syndrome (GAS)

Gear Acquisition Syndrome (kurz: »GAS«, frei übersetzt: »Ausrüstungs-Anhäufungs-Syndrom«) steht für ein Syndrom, das die Betroffenen dazu veranlasst, permanent Ausrüstung zu kaufen und anzuhäufen. Ursprünglich kommt das Phänomen aus dem Musikbereich und wurde als »Guitar Acquisition Syndrome« bekannt. Schnell wurde es aber auch auf andere techniklastige Bereiche ausgeweitet und »Guitar« allgemeiner durch »Gear« ersetzt.

Bis zu einem gewissen Grad kennen wohl die meisten Fotografen den Drang, neue Ausrüstung haben und kaufen zu wollen. Schließlich verspricht man sich dadurch ein Mehr an Qualität oder man hat einfach nur Lust auf ein neues »Spielzeug«. Von GAS spricht man allerdings, wenn dieser Drang ein Ausmaß erreicht, das rational nicht mehr erklärbar ist. Problematisch wird es, wenn man darunter wirklich »leidet«. Das ist der Fall, wenn das Habenwollen und Kaufen von neuer Ausrüstung einen so großen Anteil einnimmt, dass man gar nicht mehr zum Fotografieren kommt oder man sich für die fortwährenden Neuanschaffungen sogar verschuldet.

Woher kommt GAS?

Der Wunsch nach neuer Ausrüstung kommt immer dann auf, wenn man das Gefühl hat, dass die aktuelle Ausrüstung das fotografische Arbeiten in irgendeiner Form limitiert. Man geht also davon aus, dass man mit einer neuen Kamera oder anderen Objektiven bessere Ergebnisse erzielen könnte. In vielen Fällen mag das durchaus auch zutreffen, oftmals liegt der limitierende Faktor jedoch beim Fotografen – sei es beim Fachwissen, der Kreativität oder der Vorbereitung. Zwar ist es am teuersten, die Ausrüstung zu verbessern, aber es ist eben auch am bequemsten, dort anzusetzen und eben nicht an sich selbst. GAS entsteht auch oft durch ein Gewichtungsproblem zwischen der technischen und der ästhetischen Seite der Fotografie. Wer auf immer neuere, bessere und teurere Ausrüstung abzielt, hat oft Schärfe, Auflösung und Detailwiedergabe als primäre Kriterien an ein gutes Bild. Dabei sollten doch Komposition und Inhalt eine wichtigere Rolle einnehmen. Besonders problematisch wird es, wenn man perfektionistisch eingestellt ist und für jede denkbare Situation technisch bestmöglich aufgestellt sein möchte. Denn dann lässt sich der Kauf vieler unterschiedlicher Kameras und Objektive rechtfertigen.

Die Folgen von GAS

Mit der Anschaffung neuer Ausrüstung möchte man entweder seine fotografischen Möglichkeiten erweitern oder seine Motivation mit einem neuen Objekt der Begierde steigern. Leider bewirkt der unkontrollierte Konsum oft das Gegenteil. Meist flacht die Freude über die neue Ausrüstung schnell ab und die kurzzeitig gesteigerte Motivation schwindet. Dann bedarf es immer neuen Käufen – ein Teufelskreis.

Mehr Ausrüstung sollte eigentlich zu mehr fotografischen Möglichkeiten führen. Bei vielen Fotografen leidet jedoch die Kreativität gerade wegen der vielen Möglichkeiten. Die Qual der Wahl, welche Teile der Ausrüstung man verwenden soll, führt zu lähmenden Entscheidungsschwierigkeiten. Im schlimmsten Fall leidet auch die finanzielle Situation unter den Anschaffungen.

Betroffen sind vor allem Menschen, die sich stark auf die technischen Aspekte der Fotografie konzentrieren. Sie nehmen sich mehr Zeit zum Lesen von Reviews und theoretischen Testberichten als für die fotografischen Projekte, für die Technik nur Werkzeug sein sollte. Die technische Seite der Fotografie ist dann kein Mittel zum Zweck mehr, sondern wird zum Zweck an sich.

Für einige mag das eine erfüllende Beschäftigung sein. Andere, für die Fotografie im Zentrum steht, leiden unter diesem Teufelskreis, der sie vom Fotografieren abhält. Ganz zu schweigen von denjenigen, die sich in finanzielle Schwierigkeiten bringen und sich womöglich sogar verschulden, um die Objekte ihrer Begierde kaufen zu können.

Was kann man gegen das Gear Acquisition Syndrome tun?

Man kann sich vornehmen, keine Ausrüstung mehr zu kaufen und einschlägige Blogs und Review-Seiten zu meiden. Das bekämpft aber nicht die Ursache des Problems. Ratsam ist es daher, sich zunächst mit der eigenen Schaffenskrise, die dem Gear Acquisition Syndrome zugrunde liegt, auseinanderzusetzen und den Schwerpunkt wieder auf die kreative Komponente der Fotografie zu legen. Das setzt natürlich die Einsicht voraus, dass die Technik nicht das ausschlaggebende Kriterium ist. Ist dieser Schritt getan, kann es helfen, wenn man sich selbst auf eine minimalistische Ausrüstung festlegt und diese bewusst über einen längeren Zeitraum nicht mehr erweitert.

Im Interview mit Gerhard Rossbach geht Fotograf und Psychologe Prof. Dr. Sven Barnow auf die Ursachen von GAS ein und gibt nützliche Tipps.

https://www.youtube.com/watch?v=J7059bPcSVU

 

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13 Kommentare:
  1. Die beschriebenen Symptome lassen sich bei (fast) jeder Art von Sammlern feststellen, ob Technik, Kunst oder sonstiger Tand. Am Ende zählt nur der ständig neue Erwerb von Sammlerstücken. So bald diese sich im eigenen Besitz befinden, werden sie schnell uninteressant.

  2. Genau so, wie S.Presso es geschrieben hat, ist es. Ganz egal, ob man sich Angler, Fotografen, Hobbyköche oder sonst wen anschaut.

    Bin gespannt auf das zugehörige Kapitel in Sven Barnows „Psychologie der Fotografie“ – auch auf diesem Wege nochmal Danke für das Rezensionsexemplar. Die Rezension erscheint Ende des Monats.

    Viele Grüße,
    Finn S.

  3. Sehr cooles Interview und ein selten betrachtetes Thema derweil im Netz. Wenn man sich die Top Foto Blogs anschaut geht es dort dann doch häufig um Technik, da es freaky, einfach ist und die große Masse an Klicks anzieht. Auch lässt sich das nach einer Neuvorstellung von Kameras gut beobachten, einfach mal die Modellnummer eingeben und bei Youtube schauen wie beliebt ein halbgares „Review“ ist.
    Das hat aus meiner Sicht nichts mehr viel mit dem Hobby und noch weniger mit dem Handwerk der Fotografie zu tun.

  4. Wobei es zeitweise schon recht schwierig ist, persönlich den Angeboten zu widerstehen und nicht dem „Haben-Zwang“ zu unterliegen. Auch ich ertappe mich immer wieder bei der/den Fragen „… ob ich mehr Objektive brauche oder … besser Zooobjektive anstelle von Festbrennweiten“. Bisher jedoch konnte ich mich recht beherrschen und habe Freude daran, zu schauen was mit einem Gehäuse und zwei Festbrennweiten so alles geht.

    So finde ich die Thematik selbsterfahrend als absolut interessant und bin gespannt auf die Rezensionen zu dem Buch …

    Grüße,
    Martin P.

  5. Aufgrund des Wunsches nach sozialen Kontakt bin ich in Foren unterwegs. Ganz schlimme GAS Falle zumal das Löschen des Accounts nicht mit einem Klick gemacht werden kann sondern, wenn man keinen Admin nerven will, nur über ne Schlag mich tot email zu realiseren ist. Es hilft aber ungemein mit einem Atemzug da raus zu sein. Ein anderes Problem ist natürlich der GAS Freundeskreis, um ein Draht zueinander zu finden wird da halt mal was rangeholt und im Nachgang ärgert man sich. Das gilt übrigens auch für den digitalen VST Plugin Bereich. Es spielt keine Rolle ob da was physisch oder virtuell gehortet wird. Das Problem bleibt dasselbe.

  6. Ansatzweise habe ich das GAS dann bei mir beobachten können vor ein paar Jahren – auch wenn ich den Begriff nicht kannte, nicht wusste, woran ich da „litt“! Beruflich im Maximalstress habe ich damals den Weg der privaten Entschleunigung eingeschlagen und bin dabei (wieder) auf die Analoge Fotografie gestoßen – nachdem ich die seit meinem 12. Lebensjahr praktiziert hatte, aber im Jahr 1999 im nicht mehr ganz taufrischen Alter wie ein Wilder auf den digitalen Wahnsinnsexpress aufgesprungen bin. Und seit dem geht es mir gut und ich habe überhaupt keinen Dreh mehr, mir ständig neues Equipment zu kaufen: höchstens schön abgehangene abgelaufene Filme 😉 Digital fotografiere ich seitdem nur noch mit der X-E2 von Fujifilm, die ganz nah an Analog ist oder mit der Hosentaschenkamera TZ61, wenn es um Fotos für den Sofortgebrauch geht. Und über die Hyperperfektionisten, denen Technik über alles geht und die jeden Pixel bei 200% begutachten kann ich nur milde lächeln.

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