Fotograf im Fokus: Martin Hülle

07. März 2018
von Steffen Körber
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Fotograf im Fokus: Martin Hülle

Martin Hülle wurde 1973 in Wuppertal geboren. Schon zu Schulzeiten waren Kamera und Notizblock seine ständigen Begleiter auf der Suche nach spannenden Geschichten und Reportagen. Seit 1991 unternimmt er ausgedehnte Reisen in den Norden und setzt sich dabei intensiv mit der Fotografie und dem Schreiben auseinander. Martin Hülles Stil ist zurückhaltend, intim und melancholisch – Monumentale Landschaften stehen im Vordergrund der Fotografien, in denen der Mensch oft nur als kleines Beiwerk auftaucht. Im Interview sprechen wir mit ihm über seine Verbindung zum Norden, seine Erfahrungen auf den teils einsamen Reisen und seinen aktuellen Bildband.

In der Polarnacht ziehen wir über den zu dieser Jahreszeit menschenleeren Kungsleden. (c) Martin Hülle

fotoespresso: Auffällig ist, dass sich in Ihrem Portfolio größtenteils Bilder aus nördlichen Regionen befinden. Welche Rolle spielt der Norden in Ihrem Leben und Ihrer Fotografie? Was verbinden Sie damit?

Martin Hülle: Der Norden ist meine zweite Heimat. Bereits bei meiner ersten Tour zu Beginn der Neunzigerjahre, als ich auf dem Kungsleden, Schwedens berühmten »Königspfad«, von Abisko nach Kvikkjokk wanderte, brannte sich die nordische Einsamkeit sofort tief in mir ein. Auch wenn es mir manchmal noch schwer fiel, das Alleinsein zu ertragen, war ich gleichsam fasziniert von der Landschaft und der Freiheit, über Berge und durch Täler zu schreiten. Es war der Beginn einer Leidenschaft, die bis heute ungebrochen ist und über die Jahre sogar immer stärker wurde. Bald machte mir die anfangs oft bedrückende Einsamkeit nichts mehr aus, und so langsam gehörte ich zu jenen Menschen, denen zwei Wanderer in einem Tal bereits einer zu viel sind. Seit nunmehr über 25 Jahren durchstreife ich Berglandschaften und Gletscherwelten im Sommer wie im Winter. Ob zu Fuß oder auf Skiern habe ich auf unzähligen Touren bereits tausende Kilometer in diesen atemberaubenden Gegenden zurückgelegt. Das Nordlandfieber und der Arktis-Bazillus sind alte Bekannte, die ich sicherlich nie mehr loswerde. Und da seit Anfang an die Kamera immer mit dabei war, sind es auch Bilder des Nordens, die den größten Raum in meiner Fotografie einnehmen.

Auge in Auge mit einem Rentier in der letzten Wildnis Europas hoch im Norden Lapplands im Sarek-Nationalpark (c) Martin Hülle

fotoespresso: Wie entstand die Idee, einen Bildband zu veröffentlichen und dafür innerhalb von nur vier Jahren erneut 11 Mal in den Norden zu reisen?

Martin Hülle: Nachdem ich schon so viel erlebt hatte – wie einen 800 Kilometer langen Trek über den Nordkalottleden oder zwei Überquerungen des grönländischen Inlandeises von Ost nach West –, rissen mich im Frühjahr 2012 zwei Krampfanfälle aus heiterem Himmel zu Boden. Die Diagnose Epilepsie wurde gestellt und mein Wandererleben geriet aus den Fugen. Doch in den Tagen im Krankenhaus und den Wochen danach, die es brauchte, um wieder so richtig auf die Beine zu kommen, ließ ich mich nicht unterkriegen und fasste den Entschluss zu dem Projekt »Mein Norden«. Erneut wollte ich alles noch einmal träumen und aufbrechen zu den wundervollen Orten, die mir von früher so viel bedeuteten – aber gleichzeitig auch Neuland aufspüren, in dem ich zuvor noch nie war, jedoch schon immer einmal hinwollte. »Mein Norden« sollte zu einer Liebeserklärung an die rauen Landschaften, kargen Regionen und eine intensive Art des Unterwegsseins werden. Mein Ziel war es, Emotionen zu transportieren und von Erlebnissen zu erzählen.

Ich wollte dorthin aufbrechen, wo meine Passion ihren Anfang genommen hatte. Also führte mich die erste Reise zurück nach Schwedisch-Lappland. Genauso war es mein Ziel, mir bis dahin unbekannte Ecken zu erschließen. Daher zog es mich auch auf die Färöer-Inseln und nach Svalbard. An einer Winter-Durchquerung ­Islands war ich früher schon einmal gescheitert – jetzt wollte ich einen zweiten Versuch wagen. Wichtig war es mir, den ganzen (europäischen) Norden abzudecken und zu allen Jahreszeiten unterwegs zu sein. Schließlich habe ich 13 Reisen unternommen, von denen es 11 ins Buch geschafft haben.

Spitzbergen – Unterhalb des Moskushornet steigen wir über den Klauvbreen auf in wilde Einsamkeit. (c) Martin Hülle

Als ich das Projekt in Angriff genommen habe, war ein Bildband darüber nur ein loser Gedanke. Aber mit der Zeit wurde dieser immer klarer und aufgrund der sehr persönlichen Geschichte, die hinter allem steht, hatte ich auch rasch ganz konkrete Vorstellungen im Kopf. Ich wollte ein Fotobuch ganz nach meinem Geschmack. Ein »Coffee-Table-Book« mit Bilderserien in Farbe und Schwarzweiß und einführenden Texten zu den jeweiligen Reisen. Format, Umfang, Papier – alles wollte ich selbst entscheiden, mir nirgends reinreden lassen und immer Herr der Lage sein. Wie auf meinen Reisen. Und es sollte eine streng limitierte Edition werden. Mir war klar, dass das sicherlich kein Verlag so mitmachen würde und ich habe gar nicht erst versucht, einen Verleger zu finden, sondern habe das Buchmachen als weiteres Abenteuer begriffen und mich mit ganz viel Herzblut hineingestürzt. Die Gestaltung, die Bildauswahl, die Texte – alles sollte sich perfekt zusammenfügen. Meine Krankheit war bei alledem nur der Auslöser, erneut aufzubrechen, aber nicht die alleinige Geschichte, die ich erzählen wollte.

Königspfad – Die Sonne, die sich Mitte Dezember hinter dem Horizont verbirgt und nie zum Vorschein kommt, zaubert nur einen kräftigen Schein auf  die wenigen Wolkenfetzen. (c) Martin Hülle

fotoespresso: Sie bereisten dabei verschiedene Regionen und Länder – ist Ihnen eine(s) besonders in Erinnerung geblieben?

Martin Hülle: Als ich im südgrönländischen Johan Dahl Land am Hullet ankam und den ersten Blick auf diese Wahnsinnsszenerie warf. Umgeben von Ausläufern des Inlandeises lagen dort auf einer Fläche mehrerer Quadratkilometer haushohe Eisgebilde auf Grund. Dieser Ort zog mich so sehr in seinen Bann, dass ich mich nur schwer davon lossagen konnte. Die Stimmung war mystisch, und inmitten all der Gletscher fühlte ich mich angekommen in einer eisigen Oase in wilder Einsamkeit.

Mystische Stimmung am Hullet – Auf einer Fläche mehrerer Quadratkilometer liegen haushohe Eisgebilde auf Grund. (c) Martin Hülle

fotoespresso: Ihre Reisen sind geprägt von vielen und langen Wanderungen. Wie wirkt sich dieser Zugang auf Sie und Ihre Fotografie aus?

Martin Hülle: Mein Verhältnis zur Natur und den Landschaften, die ich fotografiere, wird dadurch sehr intim. Dabei geschieht das meiste unterwegs spontan. Meine Aufnahmen haben ja etwas »reportagehaftes«. Da ich immer eine Strecke vor mir habe, die mich in abgesteckter Zeit von A nach B führt, kann ich an den meisten Stellen nicht lange auf das beste Licht warten. Aber das ist auch gar nicht mein Ziel – ich bin nicht aus auf das ultimative Foto, das eine Szenerie »ideal« darstellt. Im Unterschied zu manch anderen Landschaftsfotografen möchte ich die Natur nicht in »Bestform« präsentieren, sondern in meinen Bildern die Emotionen wiedergeben, die ich während der Reisen erlebt habe. Ich bin kein Freund von »überschönen« und glattgebügelten »Beautyfotos«, die es auch in der Natur- und Landschaftsfotografie so häufig gibt und die schnell allzu austauschbar sind. Ich nehme, was kommt, und bin darauf aus, den Charakter der Landschaften einzufangen. Ich mag es gerne etwas schmuddelig. Und reduziert auf die Essenz der Landschaft. Geplant ist dabei deshalb eher wenig. Ich mache mich einfach auf die Jagd nach den Stimmungen. Denen in der Landschaft und denen in mir.

Im Süden Grönlands spiegelt sich der Berg Illerfissalik im eisigen Fjord Qooqqut. (c) Martin Hülle

fotoespresso: Sie waren teils alleine, teils mit Freunden oder der Familie unterwegs. Wie unterschiedlich waren dabei Ihre Eindrücke und Erlebnisse? Wie ist es, völlig alleine durch die Weiten des Nordens zu wandern?

Martin Hülle: Allein unterwegs zu sein, bedeutet die größte Freiheit. Aber auch, für alles selbst die Verantwortung zu tragen. In einer Gruppe kann man auch einfach mal hinterherlaufen. Zudem ist Austausch möglich. Über die Erlebnisse, das Wetter, die Schwierigkeiten des Weges. Entscheidungen können diskutiert und Hilfe geleistet werden. Die Qualität des Erlebens ist in dieser oder jener Konstellation aber nicht besser oder schlechter, nur anders. Daher mag ich beides. Das Unterwegssein mit der Familie gleicht hingegen einem Balanceakt zwischen Urlaub und Arbeit voller Herausforderungen. Fotografisch ist es am einfachsten, wenn ich alleine auf Tour und absolut flexibel bin. Eine Familienreise ist aus dieser Sicht schwieriger, da die Zeit für meine Frau und Tochter Urlaub bedeutet, während sie für mich eine Mischung aus Freizeit und Beruf darstellt. Dann sind Kompromisse nötig. Einerseits muss ich manchmal die Kamera zur Seite packen, selbst wenn die Gelegenheit für ein Bild günstig ist, andererseits muss meine Familie auch mal warten, wenn ich ein gutes Motiv entdecke. Zugleich ergibt sich aber ein großer Vorteil daraus, mit Freunden oder der Familie zu reisen. Es bieten sich ganz andere Optionen, schließlich möchte ich auch Fotos aufnehmen, auf denen mal eine Person durch die Landschaft läuft.

Jotunheimen – Am Rande des Heims der Riesen besteigen wir das Bitihorn, einen wundervollen Aussichtsberg. (c) Martin Hülle

fotoespresso: Wie gehen Sie mit der Krankheit heute um? Werden Sie durch sie beeinflusst – besonders vor dem Hintergrund, dass Sie auf Reisen teilweise ganz alleine und weit entfernt von ärztlicher Hilfe in der Natur unterwegs sind?

Martin Hülle: Natürlich hatte mir mein Arzt nach der Diagnose davon abgeraten, wieder alleine auf Tour zu gehen. Aber ich unternehme ja seit eh und je Solotouren auch extremer Art und habe daher wahrscheinlich sowieso einen anderen Zugang dazu als Menschen, die ohnehin nicht auf die Idee kämen, mutterseelenallein in menschenleere Wildnis aufzubrechen. Das Medikament, welches ich nach wie vor täglich nehme, scheint aber auch gut zu wirken und ich hatte keine weiteren Anfälle mehr. Daher schätze ich die Wahrscheinlichkeit nicht höher ein, dass mir aufgrund der Epilepsie etwas zustoßen könnte, als durch die erhöhte Gefahr, die Touren ohne Partner ohnehin mit sich bringen. Seitdem ich mich an die Tabletten gewöhnt habe, schränkt mich die Krankheit hier zum Glück nicht ein. In all der zurückliegenden Zeit trat die Epilepsie völlig in den Hintergrund.

fotoespresso: Haben Sie bereits weitere Projekte wie »Mein Norden« in Aussicht? Wenn ja, worum handelt es sich dabei?

Martin Hülle: Den Norden kenne ich mittlerweile nur zu gut, aber es gibt da noch einige weitere Flecken, die ich unbedingt noch sehen und erleben möchte. Patagonien oder Baffin Island. Die Mongolei oder die Gletscher Garden Of Eden und Garden Of Allah in Neuseeland. Nicht zu vergessen die Drygalskigebirge im Königin-Maud-Land in der Antarktis. All das möchte ich zu einem neuen Projekt verknüpfen. In Kurz: Sieben Kontinente. Sieben Treks. Sieben Reisen in die eisige Wildnis. Dieses Foto- und Reiseprojekt steht unter dem Motto »Protect what you love« und soll anhand weltweit ganz unterschiedlicher Landschaften, die jedoch alle Eis und Gletscher beinhalten, einerseits die Liebe dazu dokumentieren, in dieser Wildnis unterwegs zu sein, gleichzeitig aber auch aufzeigen, wie schützenswert diese Wildnis ist. Und wenn das alles so klappt, wie ich mir das im Moment ausmale, ist ein weiteres Fotobuch mein Ziel.

fotoespresso: Wir wünschen Ihnen viel Erfolg dabei. Herzlichen Dank für das Interview!

 

Mehr über Martin Hülle und seine Fotografie erfahren Sie auf seiner Webseite www.martin-huelle.de

Den Bildband ›Mein Norden‹ gibt es hier: www.martin-huelle.de/shop

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