Für die Ewigkeit gemacht
Über die Haltbarkeit (physisch und inhaltlich) von Fotos
Print Permanence, die Haltbarkeit von Abzügen, beschäftigt immer mal
wieder die Fotografen. Auch ich habe ihr schon die eine oder andere Kolumne
gewidmet (swmag_wollstein_03.htm,
swmag_wollstein_05.htm).
Dabei habe ich mich immer nur mit dem Aspekt der physischen Haltbarkeit des
belichteten Materials befasst. Was aber ist mit den Inhalten?
Jeden Morgen auf dem Weg zum Büro überquere ich auf einer Brücke eine Bahnstrecke, und in letzter Zeit fiel mir auf, dass die Gleise rostig werden und dazwischen mehr und mehr Grünzeug wächst. Offenbar wird der Abschnitt nicht mehr genutzt. Nicht, dass der Anblick der Bahnschneise ein ästhetischer Hochgenuss ist, doch – wie ein Bekannter, der Fotograf Walter Vogel aus Düsseldorf, neulich treffend sagte – "Da muss man nur seine Kamera irgendwie hineinhalten, und schon hat man ein verrücktes Strukturfoto." Tatsächlich habe ich genau solche Fotos vor einiger Zeit gemacht, u.a. weil mir das Grünzeug jetzt im Frühjahr u.a. optimal für interessante IR-Fotos erschien, teils aber auch als Dokumentation. Das strenge Muster der Schienen, dem sich das wild wuchernde Kraut widersetzt, seit es für die DB nicht mehr lohnt, es mit Herbiziden niederzuhalten, hat seinen Reiz. In letzter Zeit werden dort Gleise "zurückgebaut", was der neudeutsche Ausdruck für "abmontiert" ist. Damit gewinnen meine Fotos neben dem ästhetischen Wert (den sicher jeder anders beurteilt) auch noch einen dokumentarischen, wenn demnächst dieselbe Fläche von wieder einem neuen Bürohochhaus belegt wird. Das hat mich dazu veranlasst, mich zu fragen, warum ich eigentlich Wert darauf lege, meine Fotos besonders langlebig zu machen und bei welchen Fotos sich das überhaupt lohnt. Schienen |
Wie
lange hält ein Bild?
Papierbilder
Ein sauber verarbeitetes SW-Bild, gleich ob PE-Papier oder Baryt, hält
unter nicht zu miserablen Lagerungsbedingungen locker seine 50 Jahre. Baryt
mit zusätzlicher Stabilisierung durch Schwefel-, Selentoner, Goldtoner
und/oder Agfa Sistan (dessen Wirksamkeit inzwischen durch das Image Permanence
Institute nachgewiesen wurde) und sorgfältig gelagert, kann Hunderte von
Jahren halten.
Bei den organischen Farbstoffen von nasschemisch erzeugten Farbbildern sieht
es nicht ganz so toll aus, aber auch verblichene Kodachromes aus der Anfangszeit
der Farbenfotografie (wie sie damals noch genannt wurde) sind noch erkennbar
und erstrahlen mit Hilfe von Rechentechnik (Digital ROC®), wie in Filmscanner
eingebaut ist oder als Photoshop-Plug-In käuflich erworben werden kann,
sogar wieder in altem Glanz.
Auch bei Fotodrucken aus dem Computer hat sich einiges getan. Waren die ersten
Farbdrucke schon nach 6 Monaten nicht mehr ansehnlich, sind Ausdrucke mit vielen
der heute erhältlichen hochwertigen Tinten mindestens so stabil wie nasschemisch
erzeugte Farbbilder, und wenn man kleine Abstriche in der Größe des
darstellbaren Farbraums hinnimmt, sogar erheblich länger als viele SW-Bilder
(z. B. Pigmenttinten des EPSON Stylus Photo 2000p: geschätzte Lichtechtheit
ca. 200 Jahre).
Negative
Im Bereich KB- und MF-Rollfilm ist Zellulosetriazetat als Träger wohl am
weitesten verbreitet. Dieses Material kann bei kühler und –
noch wichtiger – trockener Lagerung recht lange halten, unter guten Bedingungen
100 Jahre und mehr. Unter schlechten Bedingungen (hohe Luftfeuchte, hohe Temperatur,
Licht) kann es aber auch schon in wenigen Jahren anfangen zu schrumpfen (so
sehr, dass sich die Schicht ablöst) und zu zerfallen. (Schnuppern Sie mal
an Ihrem Negativordner. Riecht es nach Essig? Das wäre ein Alarmsignal.)
In letzter Zeit unternehmen insbesondere Kodak und MACO offenbar Schritte dahin,
MF-Rollfilm und, soweit möglich, auch KB-Film auf Polyesterträger
zu gießen. Bei Planfilmen ist Polyester schon länger etwas üblicher.
Polyester (PE) ist mechanisch und chemisch erheblich stabiler als Zellulosetriazetat.
Man erwartet, dass PE-Träger 500 Jahre unverändert halten. Aus diesem
Grund wird es auch als Träger für Mikrofilme genutzt, deren primärer
Zweck eben die Langzeit-Archivierung ist.
Glasplattennegative sind chemisch mindestens so beständig, aber "Glück
und Glas, wie leicht bricht das!" Zudem sind sie schwer und benötigen
viel Platz.
Daten
Ein düsteres Kapitel! Mag eine CD-ROM rein vom Material her noch mit großer
Wahrscheinlichkeit ein paar Jahrzehnte lesbar bleiben, wenn sie nicht durch
Einwirkung von roher Kraft, Wärme oder Licht misshandelt wird, so ist nicht
klar, welche Software etwa in 20 Jahren noch die Dateiformate von heute wird
verstehen können. Jedem, der größere Bildbestände auf CD
sichern möchte, kann man nur raten, seine CDs in regelmäßigen
Abständen, spätestens bei jedem Hard- und Software-Update auf die
nächste (bessere?) Version mit der neuen Software zu öffnen und in
dem einfachsten zur Verfügung stehenden Datenformat verlustfrei
(also z. B. TIFF unkomprimiert statt JPEG mit hoher Kompression!) wieder abzuspeichern.
Bei einem Versionssprung von 1 sind die Dateiformate zwar vielleicht noch mit
der neuen Version lesbar, aber die Erfahrung lehrt, dass schon ab einem Sprung
von 2 niemand mehr irgendeine Kompatibilität garantiert. Eine ganz schlechte
Wette sind proprietäre Formate, die nur von der Software eines einzigen
Herstellers verstanden werden.
Nutzen Sie beim Abspeichern der Daten auf CD (oder was auch immer) möglichst
auch das einfachste verfügbare Datenträgerformat und Ablagesystem,
also nicht etwa irgendein Backupformat, das eine Auspacksoftware braucht. Wer
weiß, ob die auf der nächsten oder übernächsten Version
Ihres Betriebssystems noch läuft, selbst wenn Sie beim selben Rechnersystem
bleiben!
Hier unterscheiden sich übrigens PCs und die in der Grafiker-Welt zum Quasi-Standard
gewordenen MACs: Letzterer hat vom Betriebssystem schon die Möglichkeit
eingebaut, PC-CDs zu lesen. Umgekehrt soll es mit zusätzlichen Tools gehen.
Aber Sie ahnen schon, was passieren wird: Wenn Sie im Jahr nur 10 KB-Filme verschießen
– aus meiner Sicht eine sehr moderate Zahl – und die Negative digital
archivieren wollen, haben Sie am Ende des ersten Jahres 360 Dateien. Beim nächsten
Update in vielleicht zwei Jahren, schon über 1000, die Sie möglicherweise
alle einmal – vermutlich in Handarbeit – öffnen und wieder
neu abspeichern müssen. Im Laufe der Jahre kommen Sie nur noch zum Umspeichern,
aber nicht mehr zum Fotografieren. (Oder Sie vertrauen auf Gott und aktualisieren
die Daten nicht.)
Einen optischen Vergrößerer für ein Negativ könnte man
selbst in 500 Jahren noch mit Hausmitteln zusammenschustern, und wenn es dann
noch EDV, pardon: IT, gibt, kann man die Negative auch noch scannen. Doch wer
wird in 500 Jahren noch wissen, was sich die Programmierer bei der Vereinbarung
des TIFF-, PSD-, JPEG-, PCX- oder Weißnichwas-Formats gedacht haben?
Aber wer guckt sich
die Bilder dann noch an?
Meine Tochter wird sich vielleicht in 50 Jahren noch meine Bilder angucken,
weil die Bilder ein Stück meiner Seele abbilden und es ihr so erlauben,
ihrem Vater gedanklich näher zu sein, der dann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
schon nicht mehr leben wird. Für sie sind möglicherweise alle meine
Bilder einfach deswegen interessant, weil sie von mir sind. Dabei spielt der
Inhalt keine so immens große Rolle.
Aber wird es unter meinen Bildern in 50 Jahren auch welche geben, die Herrn
Müller von gegenüber, der mich nicht kannte und daher keinen direkten
emotionalen Bezug zu den Bildern hat, interessieren?
Ansel Adams hat viele Landschaftsfotos von fantastischer Schönheit und
handwerklicher Qualität geschaffen, und ähnliches gilt für Edward
Weston mit seinen Ausflügen in die Welt des Gemüses, der Schalentiere
und der Haushaltskeramik und wer weiß wie viele andere der "Alten
Meister". Ich schaue mir immer mal wieder solche Bilder zusammen mit Bekannten
und Freunden an, und immer wieder merke ich, dass viele sich zwar der Schönheit
dieser Bilder nicht verschließen können, dass aber ob des Inhalts
doch mehr oder weniger Gleichgültigkeit vorherrscht.
Wenn ich in unser Stadtmuseum gehe und mir die Portraits (Gemälde) unserer
Fürsten ansehe, kann ich auch nicht umhin, die technischen Fertigkeiten
der Maler zu bewundern, aber nach dem dutzendsten Fürsten ähneln sich
die Posen und Nasen dann doch, und viel interessanter ist es, zu sehen, wie
sich das Äußere der Fürsten, die "Mode" im Laufe der
Jahrhunderte verändert hat. Noch viel interessanter finde ich mitunter
Bilder wie die des Bauern-Breugel, der "einfache Leute" abgebildet
hat, und die, obschon idealisiert, in vielen kleinen Details dann doch realistisch
und detailgetreu zeigen, welches Geschirr und Werkzeug man vor ein paar Hundert
Jahren verwendet hat. Manche Bilder erlauben eine Zeitreise.
Oder ein Bild, aufgenommen aus dem Fenster der Wohnung, in der die Familie meiner Frau lebte, als meine Frau 2 Jahre alt war, also noch jünger als meine Tochter jetzt: Eine ziemlich leere Straßenkreuzung, an der ein paar Autos parken. Ganz wenige Fernsehantennen. Eine Frau geht mit Ihrem kleinen Kind an der Hand über die Straße. (Sie werden's erraten: Das Kind ist meine Frau.) Technische Qualität: Na ja. Aussage: Keine? Warum hat der Fotograf das Bild dann damals aufgenommen? An derselben Ecke können Sie heute vielleicht sonntags morgens um drei riskieren, mitten auf der Straße zu gehen, aber einen Parkplatz finden Sie da auch dann nicht. Die Häuse sind mit Satellitenschüsseln gespickt. Oder Bilder aus dem Haushalt der Familie meiner Frau vor vielen Jahren. Solche Bilder sind fast eine Form von moderner Archäologie.
Langer Straße |
Man
mag einwenden, dass mich diese Bilder faszinieren, weil es eben ein Stück
meiner Familiengeschichte ist, das sie darstellen. Da ist sicher etwas
dran. Dennoch scheinen mir Bilder, die auch ein Stück den Alltag
dokumentieren, wie Sie z.B. Berenice Abbot oder Walker Evans gemacht haben,
nicht nur für mich von bleibenderem Interesse zu sein als manches
technisch perfekte, aber eben teilweise auch steril wirkende Meisterwerk.
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Also nur noch "knipsen" und das Alltagsleben dokumentieren?
Das könnte ich wohl
selber nicht. Es gibt Orte und Momente, da packt es mich, und ich muss fotografieren.
Sorgfältig, mit Stativ und Gedöns. Für mich. Um ein Bild zu machen.
Egal, wem es gefällt, gleich ob jetzt oder morgen oder sonst irgendwann.
Meine Frau und meine Tochter fangen an, diese Situationen zu erkennen und sprechen
mich dann gar nicht mehr an, weil ich außer "Jajaja!" sowieso
nichts sage und auch gar nicht richtig zuhöre. (Sie kennen das sicher:
Nicht nur bei Fotografen heißt "Ja." einfach "Ja.",
"Jaja!" heißt "Nein" oder "Jetzt nicht!",
und "Jajaja!" heißt, höflich umschrieben, "Bitte nicht
stören!".) Das sind dann die Bilder, die ich brauche, an denen
mir am meisten liegt.
Es sind aber wahrscheinlich oft nicht die Bilder, die andere anrühren.
Fahrradleiche
Kreuze
Ich denke, es kann Bilder
von bleibendem inhaltlichen Wert geben, aber es werden – das ist meine
Überzeugung – oft nicht die "künstlerisch wertvollen Fine-Art-Prints"
sein (Die empfinde ich bei mir, aber auch bei anderen, oft als "Selbstbefriedigung"),
sondern möglicherweise Allerweltsbilder mit mehr oder weniger journalistischem
oder dokumentarischem Inhalt, Bilder, die teilweise auch nicht von optimaler
technischer Qualität sein werden, die aber die Umgebung und die Zeitgenossen
des Fotografen bei alltäglichen Dingen abbilden, die den Menschen in 50
Jahren zeigen, wie man "damals" gelebt hat.
Daher möchte ich Sie stimulieren, auch einmal die Groß- oder Mittelformatkamera
zur Seite zu legen, die KB-Kamera in die Tasche zu stecken und sich damit auf
die Welt außerhalb des Fine-Art-Elfenbeinturms einzulassen. Fotografieren
Sie sich, Ihre Freunde, Ihre Familie, Unbekannte, Alltägliches, haben Sie
Spaß daran und kümmern Sie sich nicht darum, ob "künstlerisch
wertvolle" und technisch hochwertige Bilder dabei entstehen. Wenn Sie ein
fortgeschrittener Fotograf sind, wird auch manches nur so "hingeschmissene"
Bild einfach aufgrund Ihrer Routine (oder Dank guter Automatikfunktionen der
Kamera) schon von akzeptabler technischer und meist auch ästhetischer Qualität
sein. Archivieren Sie die Bilder, und schauen Sie sie in ein paar Jahrzehnten
wieder an. Vielleicht ist manches dabei, worauf Sie nicht so stolz sind wie
auf den Platindruck von der unberührten Landschaft im Sankt-Ansel-Nationalpark,
was Sie und Ihre Mitmenschen aber im Herzen berühren wird.
Und wenn Sie den Film dann als völlig verschwendet betrachten, kann es
Ihnen doch passieren, dass diese "Ausschweifung" Ihr Gehirn irgendwie
angeregt hat, denn das Gehirn macht es sich zwar gerne einfach (wie der Bierbauch,
der auch immer wieder gute Gründe ans Gehirn liefert, warum gerade jetzt
die Jogging-Schuhe Ruhe brauchen), aber nichts ist so schädlich für
seine Flexibilität und Kreativität.
Ich empfehle Ihnen als Lektüre das Buch "Helden des Alltags"
von Wladimir Kaminer und Helmut Höge, erschienen bei Goldmann, das ich
vor kurzem zum Geburtstag geschenkt bekam. Es war Kaminers lakonische Sichtweise
der Menschen zusammen mit den von Helmut Höge gesammelten Bildern wildfremder
Menschen aus Haushaltsauflösungen, die die Umsetzung von Beobachtungen,
die ich im Laufe der Jahre an anderen und an mir gemacht habe, in diesen Artikel
katalysiert haben.