Unendliche Weiten
oder: Optimierung von Schärfentiefe und Auflösung bei Landschaftsaufnahmen
Zusammenfassung: |
Ich möchte Ihnen die
Gründe dafür aufzeigen, dass das Einstellen nach Schärfentiefenskala
nicht immer die bestmöglichen Ergebnisse liefert, speziell, wenn es darum
geht, auch im Unendlichen eine hohe Auflösung zu erzielen. Die allgemeine
Vorrede darüber, wie es zur Schärfentiefe kommt und warum der Bereich
größer ist, je stärker man abblendet, möchte ich mir ersparen.
Ich gehe davon aus, dass das die meisten Leser nur langweilen würde.
Die in diesem Beitrag verfolgte Argumentationskette geht zurück auf eine
Reihe von Artikeln von Harold Merklinger in Shutterbug. Unter den Literaturhinweisen
am Ende finden Sie den Hinweis auf URLs, unter denen Sie die Artikel - allerdings
in Englisch - online lesen können, wenn Sie gerne noch detaillierter in
die Materie einsteigen möchten.
Wenn wir auf eine bestimmte Entfernung scharf stellen, werden streng genommen
nur solche Objekte scharf abgebildet, die sich in genau dieser Entfernung befinden.
Alles davor oder dahinter wird mehr oder weniger unscharf abgebildet, und zwar
je weiter es von der Einstellentfernung abweicht, desto unschärfer. Das
stellt Bild 1 dar: Der scharfe Punkt in der Filmebene ergibt ein konvergentes
Strahlenbündel, das ab dem Objektiv bis zu einer bestimmten Entfernung
konvergiert und sich wieder zu einem Punkt vereinigt, dahinter aber wieder divergiert.
Bild 1: Strahlengang
bei Scharfstellung auf eine bestimmte Entfernung
Bei stärkerem Abblenden wird das Strahlenbündel insgesamt schmaler
und damit auch "spitzer". D. h. es läuft vor und hinter der Einstellentfernung
nicht so schnell auseinander. Dadurch wird der Bereich der Schärfentiefe
größer. Das wird durch das grün eingezeichnete Bündel veranschaulicht.
Wenn wir auf Unendlich scharfstellen, "konvergiert" das Strahlenbündel
im Unendlichen, was heißt, dass es ein Parallelbündel ist. Das stellt
Bild 2 dar.
Bild 2: Strahlengang
bei Scharfstellung auf Unendlich
Hier führt stärkeres Abblenden zu einem dünneren, aber nach wie
vor parallelen (ebenfalls grün eingezeichneten) Bündel. Der Durchmesser
des Parallelbündels ist der Durchmesser der Blendenöffnung. Darauf
kommen wir später noch zurück.
In diesen beiden Abbildungen steckt der Schlüssel zur Schärfeoptimierung!
Wenn Sie die Schärfentiefeskala an Ihrem Objektiv oder die so genannte
hyperfokale Entfernung benutzen, stellen Sie eine feste Entfernung ein und sorgen
durch Abblenden - also durch Zusammenziehen des Strahlenbündels - dafür,
dass sich der scharf erscheinende Bereich so weit nach vorne und hinten erstreckt,
wie es Ihrer Bildvorstellung entspricht. Bei Anwendung dieser Methode ist es
üblich, die Unendlichmarkierung auf der Schärfentiefeskala auf die
jeweilige Blendenzahl einzustellen, damit sich der Schärfebereich bis möglichst
nah an die Kamera heran erstreckt.
Damit scheint zunächst alles in Butter. Von einem Nahpunkt bis ins Unendliche
scheint alles scharf. Wenn Sie jedoch auf Bild 1 schauen, werden Sie sehen,
wo sich Probleme ergeben könnten: Hinter der Einstellentfernung läuft
das Bündel wieder auseinander.
Was bedeutet das in der Praxis? Ein Gegenstand wird dann im Foto aufgelöst,
wenn der Durchmesser des Strahlenbündels in der Entfernung, in der er sich
befindet, nicht größer ist als seine kleinste Abmessung. Eine Antenne
auf einem weit entfernten Haus würde z. B. aufgelöst, wenn der Durchmesser
des Strahlenbündels in der bewussten Entfernung nicht größer
ist als die Dicke des Antennenmastes. Wenn das Strahlenbündel nur ein bisschen
divergent ist, ist es nur eine Frage der Entfernung, wann es dicker ist als
der Antennenmast. Bei 20 m Abstand mag der Mast noch erkennbar sein, aber bei
50 m oder 100 m ist er es vielleicht dann nicht mehr. Sehen Sie, worauf ich
hinauswill?
Im Fall der Unendlich-Fokussierung erzeugen Sie ein Parallelbündel, dessen
Durchmesser Sie direkt über den Durchmesser der Blendenöffnung festlegen.
Das Parallelbündel hat (per Definition) in jeder Entfernung von der Kamera
denselben Durchmesser. Das aber heißt: Die Auflösung ist unabhängig
von der Entfernung und konstant! Ein Mast, der bei 20 m Abstand aufgelöst
wird, wird dies auch bei 50 m und bei 100 m 1).
Einen Punkt muss man allerdings noch hervorheben: Dass ein Motivelement aufgelöst wird, heißt nicht, dass es im Bild auch scharf wiedergegeben wird. Bild 3 verdeutlicht diesen Unterschied: Beide Linienraster sind einwandfrei aufgelöst, aber ganz offensichtlich ist das untere nicht scharf.
Bild 3: Aufgelöst
ist nicht dasselbe wie scharf
Unter den für die Schärfentiefeskala zugrunde gelegten Randbedingungen
2) hinsichtlich des Betrachtungsabstandes vom vollformatig vergrößerten
Bild wird all das im Bild "scharf" dargestellt, was zwischen Nahpunkt
und Fernpunkt liegt. Das gilt in jedem Fall. Man überlegt sich leicht (zur
Not mit einer Kamera in der Hand und mit der Entfernungseinstellung spielend),
welche Konsequenzen das bei den beiden Varianten hat:
Nehmen wir an, ich fotografiere mit Blende 8 und einer Brennweite von 35 mm.
Bei Einstellung der Unendlichmarkierung auf die Markierung für Blende 8
auf der Tiefenschärfeskala meiner Minox 35, was einer Einstellung auf etwa
7 m entspricht, sehe ich, dass sich der Schärfebereich von etwa 3 m
bis Unendlich erstrecken wird.
Bei Einstellung auf Unendlich "verschenke" ich die Hälfte des
Schärfentiefebereiches. Jetzt entnehme ich der Skala, dass nur noch der
Bereich von etwa 7 m bis Unendlich scharf wiedergegeben wird. Aber:
Die Auflösung bei weit entfernten Gegenständen ist besser! Der
Durchmesser des Parallelbündels ist leicht auszurechnen, nämlich
Bündeldurchmesser bei Einstellung auf Unendlich = Brennweite geteilt
durch Blendenzahl
hier also konkret bei 35 mm Brennweite und Blende 8 etwa 4,5 mm, unabhängig
von der Entfernung.
Sie haben bei vorgegebener Blende also die Wahl:
Größtmögliche Tiefenschärfe
zur Kamera hin erhalten Sie auf Kosten der Auflösung im Unendlichen.
Größtmögliche Auflösung (und
Schärfe) im Unendlichen erhalten Sie auf Kosten der Nahgrenze des Schärfebereichs.
Legende
d Durchmesser
der Blende
D Abstand
Blende - Objekt
(Bei
Landschaft praktisch Abstand Kamera - Objekt)
E Abstand
von der Einstellentfernung
s Streukreisdurchmesser
Bild 4: Zur Berechnung
der Größe des kleinsten auflösbaren Objektes
Bild 1 und Bild 2 enthalten schon alles Wesentliche, um überlegen zu können,
welche Einstellung man wählt. Im Bild 4 sind die entsprechenden Symbole
und eine Formel eingetragen. Aber auch ohne Formel ist die Überlegung fast
trivial:
Ein Objekt, das von der Einstellentfernung D aus um 1/10 D näher zu Ihnen
hin liegt, wird genau dann aufgelöst, wenn seine Größe mindestens
1/10 des Blendendurchmessers beträgt. Analoges gilt, wenn es weiter weg
liegt.
Bei Einstellung auf Unendlich wird's noch einfacher: Ungeachtet seines Abstandes
wird jedes Objekt aufgelöst, das größer ist als der Blendendurchmesser.
Betrachten wir das am Beispiel eines Landschaftsfotos mit einer Brennweite von
100 mm bei Blende 8. Der Blendendurchmesser beträgt dann rund 12 mm. Im
Abstand von 10 m möge eine Ziegelmauer stehen, im Hintergrund, etwa 1,5
km entfernt möge sich ein Dorf befinden.
Die günstigste Einstellentfernung (Schärfentiefenskala) würde
bei dieser Konfiguration bei etwa 30 m liegen. Bei Einstellung auf 30 m beträgt
der Streukreisdurchmesser an der Ziegelmauer etwa 8 mm. (Setzen Sie in die Gleichung
ein: E = 20 m, D = 30 m, d = 12 mm.). Der Streukreisdurchmesser in 1,5 km Entfernung,
beim Dorf, beträgt ganze 60 cm (E = 1470 m [1500 wäre aber genau genug
3)], D und d wie vor). Das bedeutet im Klartext, dass die Fugen in der
Ziegelmauer sicher noch aufgelöst würden, aber die Fenster in den
Häusern des Dorfes wären nur noch diffuse Flecken.
Bei Einstellung auf Unendlich sieht die Sache wie folgt aus: Streukreisdurchmesser
nach Bild 2 bei der Mauer wie im Dorf rund 12 mm. Die Mauerfugen wären
ein wenig schlechter aufgelöst (aber vermutlich immer noch erkennbar),
aber die Fenster der Häuser im Dorf wären klar als solche erkennbar,
und man würde auch den Hahn auf dem Kirchturm noch gut erkennen (vielleicht
nicht als Hahn, aber sicher als Wetterfahne).
Daraus folgt, dass es nur einen Weg gibt, bei Landschaftsaufnahmen die Schärfe
und Auflösung im Vordergrund zu verbessern, ohne sie im Hintergrund zu
verlieren: Abblenden.
Regel 1: Wenn im Unendlichen feine Details aufgelöst werden sollen
Wenn Sie die Schärfentiefe maximieren möchten, ohne die Auflösung
in der Ferne zu verlieren, stellen Sie auf Unendlich scharf und blenden Sie
so weit ab, bis das kleinste aufzulösende Detail im Vordergrund größer
ist als Ihre Blendenöffnung.
Regel 2: Wenn Auflösung im Unendlichen weniger wichtig ist als Schärfe
im Nah- und Mittelbereich
Stellen Sie nach Schärfentiefeskala scharf oder auf das Objekt, das Ihnen
am wichtigsten ist.
Vorsicht Falle! Leider kommt uns bei kleinen Blenden die Physik in die
Quere. Je kleiner die Blendenöffnung, desto größer wird der
durch Beugung bedingte Streukreisdurchmesser. Daher wird die Auflösung
in der Ferne wieder etwas schlechter. Ohne Ableitung glauben Sie mir bitte,
dass man den Beugungskreisdurchmesser annähern kann als D/1600d. Für
unser Beispiel würde das bedeuten, dass auch bei Unendlich-Einstellung
der Streukreisdurchmesser in 1,5 km Entfernung durch Beugung bei etwa 10 cm
liegen würde und nicht bei 11 mm (was aber immer noch erheblich besser
ist als die 60 cm bei Einstellung auf 30 m).
Ziehen wir aus dem Ganzen noch ein paar Schlussfolgerungen:
Mittel- und Großformataufnahmen
Bei Mittel- und Großformat sind bei gleichem Bildwinkel die Brennweiten
länger, die Blendendurchmesser entsprechend bei gleicher Blendenzahl größer.
Das heißt, dass bei gleichem Abstand und gleichem Ausschnitt der Streukreisdurchmesser
größer wird, das kleinste auflösbare Detail also auch größer
sein muss. Es heißt aber auch, dass die beugungsbedingte Unschärfe
geringer wird. Gleichermaßen werden gleich große Objekte in der
Filmebene größer abgebildet, so dass man erst später an die
Grenze der Filmauflösung stößt.
Verwacklungsunschärfe
... haben wir nicht betrachtet. Wenn Sie an die Grenzen des optisch Machbaren
vordringen möchten, tun Sie gut daran, ein Stativ zu benutzen, kurze Verschlusszeiten
zu wählen (da beißt sich die Katze in den Schwanz, wenn Sie gleichzeitig
abblenden möchten) und - bei Spiegelreflexkameras, besonders bei längeren
Brennweiten - Spiegelvorauslösung zu benutzen. Auch Wind kann bei Landschaftsaufnahmen
ein guter Grund sein, eine kürzere Verschlusszeit zu benutzen.
Literaturhinweise
[1] Harold M. Merklinger, Depth of Field Revisited (zusammenfassend, ohne Details),
http://fox.nstn.ca/~hmmerk/DOFR.html, Adjusting Depth of Field, as published
in Shutterbug, Oct. 1991, http://fox.nstn.ca/~hmmerk/SHBG01.pdf, Adjusting Depth
of Field - Part II, as published in Shutterbug, May 1992, http://fox.nstn.ca/~hmmerk/SHBG02.pdf,
Adjusting Depth of Field - Part III, as published in Shutterbug, June1992, http://fox.nstn.ca/~hmmerk/SHBG03.pdf,
Adjusting Depth of Field - Part IV, as published in Shutterbug, July 1992, http://fox.nstn.ca/~hmmerk/SHBG04.pdf
(Alle Links geprüft am 20.04.2001)
[2] Ctein, Post Exposure - Advanced Techniques for the Photographic Printer,
Focal Press 1997, ISBN 0-240-80229-3 (Dieses Buch ist vor einiger Zeit in etwas
veränderter Form neu erschienen.)
[3] Marchesi, Jost J., Handbuch der Fotografie, Bd. 1: Geschichte; Chemisch-physikalische
und optische Grundlagen, Verlag Photographie, 1. Auflage 1993, ISBN 3-7231-0024-4
Fußnoten:
1) Das gilt natürlich auch wieder nur im Rahmen dessen, was Film
und Optik leisten können. Es bleibt ja dabei, dass Gegenstände kleiner
abgebildet werden, wenn sie weiter entfernt sind. Irgendwann unterschreitet
ihre Bildgröße dann z. B. die Auflösung des Filmmaterials.
2) Es lohnt sich, auch hierüber nachzudenken: Bei der Berechnung
der Skalen muss der Objektivhersteller festlegen, welchen Streukreisdurchmesser
er als Kriterium ansetzt. Bei älteren Kameras sind meist wesentlich größere
Durchmesser angesetzt als bei neuen, da die damaligen Filmmaterialien die Grenze
niedriger setzten. So weiß ich z. B. dass bei meiner 40 Jahre alten Kodak
Retina Ib die Skala für einen Streukreisdurchmesser von 1/20 mm gerechnet
wurde, bei meiner 20 Jahre alten Minox 35 wurden m. W. schon nur noch 1/30 mm
zugelassen.
Lt. [3] sind die Schärfentiefeskalen aktueller Objektive nach der Konvention
gerechnet, dass der zulässige Streukreisdurchmesser 1/2 000 der Normalbrennweite
beträgt, also bei KB 1/40 mm. Genießen Sie also Schärfentiefeskalen
mit Vorsicht!
3) Es lohnt nicht, bei diesen Berechnungen alle Stellen zu verwenden,
die der Taschenrechner hergibt, denn es handelt sich um eine Näherung.
Um für die Aufnahme eine Idee zu bekommen, brauchen Sie in erster Linie
die Größenordnung.