Geschichte(n) zur Camera obscura
Von der Lochkamera zur Kalotypie

Die Camera obscura war ursprünglich ein mannshoher, von allen Seiten geschlossener Raum, dessen eine Wand ein kleines Loch aufwies, durch das das einfallende Licht ein Bild der Außenwelt auf die gegenüberliegende Wand projizierte.

Das zugrunde liegende optische Prinzip findet eine erste Erwähnung im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Aristoteles. Er beobachtete während einer partiellen Sonnenfinsternis die mehrfache Abbildung des sichelförmigen Umrisses der Sonne auf dem Boden im Schatten eines Baumes. Aristoteles beschrieb den Zusammenhang der Abbildungen mit den Öffnungen im Blätterdach des Baumes.

Eine genauere Beschreibung hat der arabische Gelehrte Alhazen (Ibn al-Haitam) in einem Buch über Optik im 11. Jahrhundert unserer Zeitrechnung gegeben: "Wenn das Bild der Sonne bei einer Sonnenfinsternis - vorausgesetzt, es ist keine totale - durch eine kleine runde Öffnung auf eine ebene Oberfläche fällt, so wird es halbmondförmig". "Allerdings zeigt sich die Sonne in dieser Form nur, wenn die Öffnung sehr klein ist."

Die Entwicklung der Camera obscura führte vom Bauwerk über Sänfte und Zelt zum tragbaren Holzkasten mit Spiegel, Mattscheibe und Sammellinse. Sie wurde in ihrer Zeit als Zeichenhilfe geschätzt.

Beschreibungen der Camera obscura (Lochkamera) hatten mich neugierig gemacht, und so kam mir die Idee, eine Sonnenfinsternis vom Deck eines Parkhauses hier in Oldenburg mit einer Camera obscura abzubilden.

Die von mir am Tag der Sonnenfinsternis eingesetzte "dunkle Kammer" auf dem Parkdeck war eine runde Dose für 2 Liter Farbe, in die ich seitlich ein ca. 0,5 mm großes Loch gebohrt hatte. Leider war das große Ereignis von dicken Wolken verdeckt. Belichtet habe ich den Film auch ohne Sicht auf die Sonnenfinsternis, mit großer Spannung, wie denn das Panorama der Dächer der Stadt Oldenburg auf dem ungefähr DIN A4 großen Planfilm in der Rundung der Dose gegenüber dem winzig kleinen Loch, aussehen würde. Nach der Filmentwicklung großes Erstaunen: das, was ich beim Belichten des Panoramas als bildbestimmend gesehen hatte, war nicht, oder richtiger, nur ganz klein abgebildet. Dafür war im Bildvordergrund so etwas wie eine breite Straße mit einem großen Bauwerk abgebildet, die mir vor Ort gar nicht aufgefallen war. Die Lochkamera hatte sich als Werkzeug zur Erzeugung von phantasievollen Bildern gezeigt.


Ehem. Landesbibliothek, Oldenburg (Teedose, rund)

Die Lochkamera hat besondere Eigenschaften, die zur Benutzung einladen: Sie braucht nicht fokussiert zu werden, nahe und ferne Objekte werden in gleicher Bildqualität abgebildet. Diese gleichwertige Verbindung entspricht nicht der Seherfahrung. Außer planen können auch gewölbte Bildflächen benutzt werden, die einen Bildwinkel von etwa 180 Grad ermöglichen. Die gewölbte Bildfläche bringt Bilder hervor, die durch starkes Größengefälle, Deformation und Aufwölbungen des Bildraumes nicht vorhersehbar sind. Da der Form und Größe der Kameras nur eigene Grenzen gesetzt werden, ist ein weites Experimentierfeld für den Bau individueller Kameras geschaffen, und der Blick für die Gegenstände in der Umgebung auf ihre Eignung zur Verwendung als Kamera sensibilisiert. Das Wechselspiel Bild-Idee / Kamerakonstruktion ist eröffnet. Wenn dann ein vertrautes Objekt der Umgebung, mit einem zur Lochkamera umfunktioniertem Gebrauchsgegenstand aufgenommen, ein so anderes Bild abgibt, werde ich an das faszinierende Spiegelbild auf einer Christbaumkugel erinnert.


Lange Straße, Oldenburg (Teedose, rund)

Die Arbeit mit der Lochkamera hat mir deutlich gemacht, wie anders diese Art des Bildermachens im Gegensatz zur herkömmlichen, oft rastlosen Fotografie ist. Die Technikentwicklung erlaubt hier selbst für Amateur-Kameras Belichtungszeiten von einer 1/8000 Sekunde, 36 Aufnahmen sind in ein paar Sekunden belichtet. Die Lochkamera benötigt Zeiten von mehreren Sekunden, oft Minuten, manches Mal auch Stunden. Sie erlaubt nur eine Aufnahme zur Zeit. Während eine kurze Belichtungszeit einen kleinen Zeitspalt fixiert und Bewegung "einfriert", ignoriert die Lochkamera je nach Länge der Belichtungszeit die bewegten Objekte ganz oder teilweise. Die "Entdeckung der Langsamkeit" bekommt durch den gewollten Rückfall in scheinbare Unzulänglichkeiten einer alten Technik eine erfahrbare Dimension. Während der Belichtung bleibt Zeit, sich gedanklich mit dem Motiv zu beschäftigen. Ich habe das Gefühl, an der Belichtung direkt beteiligt zu sein. Es bleibt Zeit für die Kommunikation mit Passanten, und eine Belichtungszeit von 15 Minuten für ein Motiv an der Haaren beim PFL, bei dem ich mit auf das Bild wollte und deshalb sehr still stehen musste, schenkte sogar die Begegnung mit einem Eisvogel.

Bei der industriellen Fertigung der Kamera ist die Benutzung durch die Konstruktion festgelegt. Die individuelle Konstruktion der Lochkamera hat die Bild-Idee zur Grundlage, und kann einfach und damit kostengünstig, auch kostenfrei sein. Als Beispiel mag die lichtdichte Kunststoffdose eines Kleinbildfilmes genannt sein, das erforderliche "Loch-Objektiv" kann aus dem dünnen Blech einer Getränkedose oder Einweg-Grillschale gefertigt werden, in das mit einer Nadelspitze ein Loch gebohrt wird.


Friedensplatz, Oldenburg (Dose, halbrund)

Wenn die Lochkamera als Urform des Fotoapparates Eigenschaften hat, die eine Verwendung auch für die Gegenwart sichert, so lag es für mich nahe, das auch die Urform des fotografischen Bildes besondere Reize haben könnte, die es auszuprobieren lohnt.

Die Erfindung der Fotografie (direkt positiv auf versilberten Kupferplatten als Unikat) gebührt Joseph Nicephore Niepce (er nannte das von ihm entdeckte Verfahren Heliographie) sowie Louis Jacques Mande Daguerre, der es unter der Bezeichnung "Daguerrotypie" wesentlich verbesserte.

Die Urform des heute praktizierten Verfahrens, ein Negativ und eine beliebige Anzahl von Bildern wurde von dem englischen Gutsbesitzer und Privatgelehrten William Henry Fox Talbot erfunden.

Talbot begann seine Experimente mit Kontaktkopien von Pflanzen, Spitzen und Federn auf Silbernitrat- und Silberchlorid-Papier, die er fotogenische Zeichnungen nannte, und mit denen er das erste, mit Fotografien illustrierte Buch der Welt mit dem Titel "Pencil of nature", versah. 1835 ließ sich Fox Talbot mehrere würfelförmige Kameras mit einer Kantenlänge von ca. 6,5 cm herstellen. In diesen belichtete er jeweils ca. 30 Minuten lang Ansichten seines Schlosses Lacock Abbey auf mit Silbernitrat beschichtetem Schreibpapier. Die Hausangestellten nannten seine überall im Haus aufgestellten Kameras "Mausefallen".

Ein Papiernegativ im Format 2.5 x 2.5cm aus dem Jahr 1835 von einem Fenster ist erhalten geblieben.

Talbot verbesserte sein Verfahren, ließ es sich 1841 patentieren und nannte es Kalotypie, später Talbotypie. Damit sicherte er sich die Ehre als Erfinder der Fotografie für das Negativ-Positiv-Verfahren.

Die Kalotypie hatte sich für lange Zeit durchgesetzt; so sind viele Bilder erhalten geblieben. Ein paar konnte ich betrachten, und als mir dabei die schönen Brauntöne und die reizvollen Papieroberflächen aufgefallen waren, habe mich in das Verfahren der Kalotypie eingearbeitet. Dabei habe ich die vielfältigen Einflussmöglichkeiten auf Farbe und Oberflächenstruktur des Bildes kennen und schätzen gelernt.

Geeignet sind vom Grundsatz her alle Papiere, die ca. 40 Minuten Aufenthalt in Flüssigkeiten schadlos überstehen. Aquarellpapiere erfüllen diese Ansprüche am besten, und die Oberflächen einiger Sorten haben einen ganz besonderen Reiz.

Die Kalotypie muss im Kontakt kopiert werden, dabei liegt das Negativ mit der Schichtseite auf dem zu belichtenden Papier im Kontakt unter einer Glasscheibe. Als Lichtquelle dient am besten die Sonne, da die Kalotypie nur durch den UV-Anteil des Lichtes belichtet wird. Das Bild entsteht während der Belichtung unter Sichtkontrolle, anschließend wird es fixiert und gewässert. Nach dem Trocknen wird sichtbar, daß ein mit der Kombination Lochkamera/Kalotypie hergestelltes Bild seinen eigenen Reiz hat, der auf einem Monitor nur unvollständig wiedergegeben werden kann.

Ingo Günther

Hinweis auf Workshop:

Oldenburg durch das Loch einer Camera Obscura: Die historischen (fotografischen) Verfahren Henry Fox Talbots (Kalotypie/Salzprint) und Herschels (Cyanotypie) praktisch angewandt.

Mit vorhandenen Lochkameras werden uns ein Bild von der Stadt Oldenburg machen und als Eisenblaudruck (Cyanotypie) und als Salzprint (die positive Hälfte der Kalotypie) auf hochwertiges Aquarellpapier abdrucken. Alle Arbeitsgänge von der Aufnahme bis zum fertigen Bild sind Inhalt des Workshops. Die Bilder werden durch Sonnenlicht kopiert und mit Wasser entwickelt. Es sind keine Laborkenntnisse erforderlich.

Max.: 15 Teilnehmer/innen
Samstag, 13. März 2004, 10.00 – 16.45 Uhr
Sonntag, 14. März 2004, 10.00 – 16.45 Uhr
Kompaktkurs: 42,00 Euro einschl. Material

Ort: Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg, Schloßplatz, 26135 Oldenburg.

Treffpunkt: Foyer im Schloß

Anmeldungen bitte an:
Lebendiges Museum e.V.
Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte
Oldenburg, Prinzenpalais, Damm1
26135 Oldenburg . Tel. 0441-2 20 73 00